JOSCHKA FISCHER FORDERT WEHRPFLICHT FÜR MANN UND FRAU
Von: N-tv.de
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Joschka Fischer sieht die Welt in einem radikalen Umbruch. “Europa ist ab sofort allein”, sagt er mit Blick auf die USA. Dem früheren Außenminister zufolge braucht es nun eine gänzlich neue Sicherheitspolitik – und einen Kanzler Merz im Format eines Adenauers.
Angesichts der russischen Aggression in der Ukraine und der Krise der transatlantischen Beziehungen hat sich der frühere Außenminister Joschka Fischer für einen europäischen Atomschirm ausgesprochen. “Der nukleare Schutzschirm ist die Rückversicherung gegen nukleare Erpressung, wie sie Moskau gerade im Wochenrhythmus mit Europa versucht”, sagte Fischer im Interview mit dem “Stern”. “Die EU sollte mit Frankreich und Großbritannien als Nuklearmächten jetzt Verhandlungen beginnen, wie ihr Schutzschirm ausgedehnt werden könnte. Diese Option muss Europa haben.”
Deutschland müsse außerdem die Wehrpflicht wieder einführen, so Fischer. “Ich war ein Befürworter der Abschaffung. Das war ein Fehler, den wir revidieren müssen”, sagte der langjährige Grünen-Politiker. “Die Wehrpflicht muss wieder eingeführt werden. Für beide Geschlechter. Ohne diesen Schritt werden wir beim Schutz Europas nicht vorankommen.”
Außerdem sprach sich Fischer für eine deutliche Erhöhung des Wehretats aus. “Wir müssen unbedingt mehr in die Verteidigung investieren”, sagte er. Auf eine genaue Prozentzahl wollte er sich nicht festlegen. “Wir brauchen so viel, dass unsere Abschreckung glaubwürdig ist”, sagte Fischer. “Der heutige Status Quo von zwei Prozent reicht nicht aus.”
“Das große Deutschland ist unverzichtbar”
Fischer spricht sich grundsätzlich für eine Beteiligung deutscher Soldaten an einer Friedenstruppe in der Ukraine aus. “Das hängt von vielen Faktoren ab, vom Verhandlungsergebnis, den Umständen, der Absicherung einer solchen Truppe”, sagte der 76-Jährige. “Grundsätzlich bin ich der Meinung: Wenn Europa gefragt ist, sind auch wir gefragt. Das große Deutschland ist unverzichtbar für einen Sicherheitsbeitrag.”
Über den Eklat beim Staatsbesuch des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj im Weißen Haus am vergangenen Freitag, wo er mit US-Präsident Donald Trump und Vize J.D. Vance aneinander geriet, sagte Fischer: “Faktisch war dies ein erster Schritt in die Richtung des Rückzugs der USA. Es gibt keinen Platz mehr für Illusionen. Europa ist ab sofort allein!”
Zugleich rief er dazu auf, die transatlantischen Beziehungen nicht aufzugeben. “Ich bin überzeugt: Wir müssen am transatlantischen Westen trotz des Trumpismus festhalten. Sonst schrumpfen wir als Europa auf unsere Randlage im eurasischen Kontinent zurück”, so Fischer. Amerika sei “mehr als Trump”: “Unsere Beziehungen werden Trump überleben. Es werden harte Jahre. Aber manchmal muss man die Zähne zusammenbeißen.”
Fischer: Adenauer ist die Flughöhe
An die Kanzlerschaft von CDU-Chef Friedrich Merz hat Fischer unterdessen hohe Erwartungen. “Friedrich Merz muss als der Bundeskanzler die Qualität des Gründers der Bundesrepublik, Konrad Adenauer, erreichen. Das ist die Flughöhe”, sagte er dem “Stern” weiter. “Wir stehen vor einem radikalen Bruch in der Zeit. Ich habe aber nicht den Eindruck, dass das schon bei allen angekommen ist.” Er halte aber “nichts vom Schlechtreden”, betonte Fischer im Gespräch. “Deutschland ist ein großes Land, mit großen Problemen, die aber gelöst werden können. Wenn man sie anpackt.”
Die mangelnde Regierungserfahrung von Merz hält Fischer nicht für die größte Herausforderung: “Er wird im Kanzleramt auf einen kompetenten Apparat treffen. Regieren ist keine Geheimwissenschaft, das kann man lernen. Entscheidend ist, dass er den Kontakt zur Bevölkerung behält.”
Fischer warnte Union und SPD vor Streit in der Übergangsphase. “Sie können sicher sein, dass sich die internationalen Partner schon jetzt an Friedrich Merz als neuem Kanzler orientieren werden. Und es erweckt nicht eben Vertrauen, wenn die aus der Ferne mitbekommen, dass die möglichen Koalitionspartner schon vor Antritt um Sondervermögen und Schuldenbremse streiten. Ich hätte erwartet, dass die besser vorbereitet sind”, sagte er.