DEUTSCHLAND WIRD AUTORITÄRER
Von: I. Djurovic
Foto: Marzieh Khanizadeh Abyaneh
„Deutschland wird autoritärer, es gibt Kontrolle, Zensur, Selbstzensur“
Der Philosoph Gal Kirn kritisiert die Lage in Deutschland. Es werde verbal und militärisch aufgerüstet. Wer sich für Frieden einsetzt, werde attackiert. Ein Gespräch.
Der slowenische Kulturhistoriker Dr. Gal Kirn beschäftigt sich seit Jahren intensiv mit dem Zweiten Weltkrieg und hat eine eigene Sicht auf die gegenwärtige europäische Situation. Mit der Berliner Zeitung sprach er über das politische Erbe Jugoslawiens, die Transformation der Grünen von einer Friedensfraktion zu einer Partei, die für Waffenexporte plädiert, und darüber, was Sahra Wagenknecht derzeit so populär macht.
Herr Kirn, zu Beginn dieses Jahrzehnts will die Politik weltweit die CO2-Emissionen senken und den Klimawandel bremsen. Stattdessen erhöht sich der CO2-Ausstoß, es gab eine Reihe neuer Kriege, von denen der in der Ukraine bereits ins dritte Jahr geht. Glauben Sie, dass wir dazu fähig sind, die ökologische Krise zu bewältigen und unseren Planeten zu retten, während wir gleichzeitig aufrüsten und Waffen für neue Kriege exportieren?
Diese Frage berührt den Hauptwiderspruch. Ich erinnere mich immer an das alte Horkheimer-Zitat, das besagt: „Wer aber vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen.“ Im Zusammenhang mit der aktuellen Umweltsituation können wir sagen: „Wer über die Ukraine, Gaza, Aufrüstung und Kapitalismus nicht reden will, sollte auch von der Ökologie schweigen.“ Es ist nur so, dass die Liste dieser „Dinge, über die man reden muss“, heute länger ist, und es scheint, dass viele Gruppen sich eher um einzelne Themen als um die gesellschaftliche Gesamtheit kümmern. Eine der größten Enttäuschungen in dieser Hinsicht ist der Weg der Grünen, die ja aus der Friedens- und Anti-Atom-Politik hervorgegangen sind und heute die „kriegerischste“ Partei sind, die zusammen mit den Sozialdemokraten das Grundgesetz geändert haben, sodass Deutschland kein reiner Verteidigungsstaat mehr ist. Allerdings existiert ihr grünes, pazifistisches Programm aus der Zeit Joschka Fischers und des Nato-Bombardements von Jugoslawien 1999 nicht mehr. In den letzten Jahren wurde eine offene Kriegspolitik betrieben, es wird nicht mehr über Frieden diskutiert. Für den Frieden einzutreten, was wir Linken immer als eine Art moralische Sache betrachtet haben – etwas, von dem der Papst spricht –, ist heute in Ländern wie Deutschland oder Amerika, England oder Russland fast ein radikaler Akt.
Das ist eine Position, die Mut erfordert. Aber eine Politik des aktiven Friedens oder der aktiven Neutralität und Abrüstung ist notwendig. In den letzten Jahren ist die Produktion von Waffen weltweit exponentiell gestiegen. Sie ist einer der Industriezweige, die keine Probleme mit neuen Investitionen hatten. Boris Pistorius, der deutsche Verteidigungsminister, hat bereits mehrfach betont, dass Deutschland binnen drei bis vier Jahren auf einen Krieg vorbereitet sein solle. Das ist nicht irgendein Verrückter, der Unsinn redet. Das ist die Aussage eines Regierungsvertreters, die an Kučan, Milošević und Tudjman in den frühen neunziger Jahren in Jugoslawien erinnert, als sie sagten, dass es einen Krieg geben könnte, dass die nationale Substanz geschützt und unser Land wieder groß werden müsse. Wenn man auf diese Ebene kommt, wenn führende Politiker offiziell zum Krieg aufrufen, dann sprechen wir von der Absicht, den Krieg zu normalisieren. In dieser Hinsicht macht es also keinen großen Unterschied, ob die extreme Rechte für den Krieg ist oder etwas, das sich als Sozialdemokratie oder die Mitte präsentiert, wenn alle für den Krieg offen sind und die Umweltfragen zur Nebensache werden. Jeder sagt hier, dass etwas zum Besseren getan werden müsse, aber in Wirklichkeit ändert sich nichts, es wird sogar noch ärger und schürt die schlimmsten Erwartungen.
ZUR PERSON
Gal Kirn ist ein politischer und kultureller Theoretiker, der in Ljubljana geboren wurde und seit 14 Jahren in Berlin lebt. Er ist in der akademischen Gemeinschaft aktiv, organisiert unter anderem Diskussionen und Festivals. Er war Dozent an der Freien Universität Berlin und der Justus-Liebig-Universität Gießen. Außerdem war er am ICI (Institute for Cultural Inquiry) Berlin tätig. Derzeit leitet er ein Forschungsprojekt an der Universität von Ljubljana.
Kirns wissenschaftliches Interessengebiet umfasst Themen der jugoslawischen Partisanenbewegung im Zweiten Weltkrieg, aber auch zeitgenössische politische Theorie, Film und Philosophie. Er hat zwei Bücher veröffentlicht: „Partisan Counter-Archive. Retracing the Ruptures of Art and Memory in the Yugoslav People’s Liberation Struggle“ (De Gruyter, 2020) und „Partisan Ruptures. Self-Management, Market Reform and the Spectre of Socialist Yugoslavia“ (Pluto Press, 2019).